In der Organisationsentwicklung hat die Routine und Beständigkeit eine „schizophrene“ Natur. Zum einen manifestiert sie Stabilität und Kontinuität in den Aktivitäten der Menschen und Prozesse, dagegen ist sie auch Spiegelbild für das Alte, Abgeschliffene, Überholte – der wirkende Gegenpol der Veränderung! Bildlich gesprochen entfaltet dort ein Dauermagnet seine volle Wirkung: das kleinste Verrücken weg von der Ausgangsposition wird nahezu unmittelbar wieder zurückgeholt. Wünsche zur Veränderung reichen an dieser Stelle nicht aus, sonst bleibt alles so wie es ist! Ausschließlich Maßnahmen die nachhaltig und kraftvoll genug sind, bieten die Möglichkeit für eine Neuausrichtung (s. Artikel Change Management – der Wechsel von einem stabilen System zum anderen)
Wie sensibel muss man sich Wandel und Veränderungen nähern?
Auf der einen Seite gibt es tatsächlich Themen, die man nicht ändern sollte (vgl. Routinen als Gene der Organisation, Nelson & Winter 1982, Hodgson 2008), um erfolgreich zu agieren. Auf der anderen Seite gilt es behutsam Bereiche zu identifizieren und mit Aktionen zu belegen, die verändert werden sollten, nämlich dort wo sich Handlungsspielräume reduziert haben und Alternativen offensichtlich ausgelöscht sind.
Organisatorische Routinen in Unternehmen sind das Fundament für effiziente Arbeitsprozesse und sind in der Lage ein schnelles und stabiles Wachstum zu sichern. Als sich wiederholende, kollektiv geteilte Handlungsmuster helfen sie kognitive Ressourcen einzusparen (Becker 2004):
Stellen Sie sich Firmenstrukturen vor, in denen es keine Standards oder bewährte Prozesse gibt! Jede Aktion und jedes Handeln müsste zuerst neu gedacht, erlernt und nachhaltig erprobt sein. Bewährtes entlastet den Einzelnen und vermittelt Sicherheit und Beständigkeit. Aktionen sind verzahnt und abgestimmt, arbeitsteiliges Handeln ist entwickelt, Störfaktoren sind bereits selektiert worden und die Qualität liegt auf einem hohen Niveau. Dadurch lässt sich Wissen verfestigen, Neues schnell erlernen und Effizienz sichern – im Gegensatz dazu: Innovation braucht Zeit, Überlegung und ist mit Anstrengung verbunden – Gerne geht man den Weg des geringsten Widerstandes, oder?
(Quelle/Bezug: „Organisationale Routinen – Ein Blick auf den Stand der Forschung – von Stephan Kaiser und Arjan Kozica; OrganisationsEntwicklung Nr.1/2013)In „die Macht der Gewohnheit“ von Charles Duhigg wird sehr faszinierend eine Kernbotschaft vermittelt, stereotypisierte Reaktionsweisen erläutert und der Begriff der Gewohnheit beschrieben: Dieser stellt einen Mechanismus dar, den es zu durchschauen, zu erkennen und zu beachten gilt. Der Zauber der Routine ist allgegenwärtig, prägt unser Fühlen, Denken und Verhalten.
Möchte man jedoch das sichere Fahrwasser verlassen und “Neues entdecken”, den Horizont erweitern, ist nicht nur ein ganzheitlicher Überblick, Erfahrung und Wissen erforderlich, sondern vielmehr das sensible Einfühlen in die beteiligte Besatzung. Gemeinsam gilt es die neuen Routen abzustecken und realisierbare Ziele zu setzen: Gelingt dies, entsteht Sicherheit und Vertrauen, wesentliche Bausteine auf einer erfolgreichen Expedition!
Lassen Sie uns aber einen Blick darauf richten, wie Verfestigungen und angelegte Prozesse entstehen, um noch besser zu verstehen, weshalb Widerstände so schwer zu überwinden sind. In der folgenden Abbildung veranschaulicht Georg Schreyögg, die Pfadabhängigkeit und die damit beschriebene Verengung des Handlungsspielraumes im Zeitablauf. Ab einem bestimmten Zeitpunkt prägen vergangene Entscheidungen die zukünftigen so intensiv, dass die Akteure sogar verstärkt auf die alten Muster zurückgreifen bzw. diese reproduzieren.
Wie kann der Kanalisierung und Entstehung sogenannter Pfade entgegengewirkt werden?
Georg Schreyögg beschreibt: “Pfade sind das Ergebnis sozialer Handlungszusammenhänge und keine Naturgewalten“. Insbesondere aber dort wo innerhalb der Prozesse anfängliche Erfolge erzielt wurden und dadurch das Erfolgsmuster selbstverstärkende Überzeugungskraft entfaltet und zu immer mehr Reproduktion drängt, besteht die Gefahr der „Verkrustung“. Solche Muster entstehen auch viel schneller als weitläufig geglaubt – meist schleichend! Sogar in jungen und sehr flexibel aufgesetzten Unternehmen, dort sogar beschleunigt, so die Feststellungen. Dies geschieht sowohl im strategischen als auch im technologischen Aufbau.
Es gilt Alternativen aufzuzeigen („Pfadberechnung“), Abhängigkeiten zu reflektieren bzw. zu bewerten und parallele Aktionsfelder zu aktiveren – das „Framing“ von Handlungsmustern aufzuweichen!
Das Betrachtungsfeld ist so breit angelegt, wie kaum ein anderes. Umfassende Analysen von Kognition und Psychologie lassen diverse Verhaltens-, Denk und Wahrnehmungsmuster von Menschen erklären. Warum denken und handeln wir anders, als wir eigentlich denken und handeln möchten? Daniel Kahnemann (Kognitionspsychologe), geboren 1934 in Tel-Aviv, gibt dazu hervorragende Antworten. Er gliedert in Systeme und beschreibt Zusammenhänge, erklärt dass es für Änderungsmaßnahmen meist oft zu spät ist und Probleme bereits allgegenwärtig sind, bevor sie Verhaltungsänderungen auslösen. Kennt nicht jeder eine solche Gemengelage aus seinem eigenen Umfeld und Aktionsradius?
Um ein sensibles Change Management vorzubereiten bedarf es an Erfahrung, Expertise und Einfühlungsvermögen.
Mehr dazu erfahren Sie in weiteren Artikel zu dieser Serie.